Kunst trifft Engel (2)

© Marlen Wagner

Erstarrt in weiß-marmorner Eleganz stehen die Friedhofsengel im Klassizismus ruhig auf Gräbern Wache. Hier bewegt sich nichts, weder wiegt sich eine Flügelspitze im Wind, noch ein Gewand trotz all seiner durchscheinenden Leichtigkeit. Zudem erhalten Engel nun mit der Figur der Trauernden starke Konkurrenz. Als die sepulkrale Figur des im späten 18. Jahrhundert beginnenden bürgerlichen Zeitalters verkörpert sich in ihr ein neues Umgehen mit Tod und Sterblichkeit.

Nach der oft drastischen, immer aber naturalistischen Darstellungen des Barock wird der Tod im Klassizismus sublimiert hin auf einen sanften. Die Trauer über den Verlust wird ästhetisch überhöht in der Darstellung der makellosen Reinheit, einer Schönheit jenseits der Menschlichkeit. Die, die hier trauert – im Klassizismus fast ausnahmslos weiblich – richtet ihren wehmutvollen Blick mit Hingabe in die Ferne, auch wenn der nicht fixierte Punkt sich direkt vor ihr befindet. Ihre Gewänder griechischen Stils enthüllen mehr als sie verdecken, grandiose Zurschaustellung grandioser Bildhauerkunst.

Aber strahlen diese Frauengestalten wirklich Erotik aus? Dies wird in den Schriften der Kunstgeschichte immer wieder behauptet. Jedoch – kann Vollkommenheit jemals erotisch sein? Wird hier nicht ein Wunschbild in Stein gemeißelt: Tochter oder spätere Gemahlin, rein, keusch, unschuldig, unberührt? So weit entfernt von jedem irdischen Verlangen, ein auf die Piedestale gehobene Ideal? Vorbild ihrer formvollendeten Trauer finden die Frauengestalten in der Jungfrau Maria – und in den Engeln. Diese unterscheiden sich nicht wesentlich von den Trauerfiguren.

Lediglich seinem gemalten Genius der Poesie , auch dieser weiblich, hat Friedrich Wilhelm von Schadows zwei rote Flügel verliehen, die zum Fliegen geeignet scheinen. Zwar steht die Genia bewegungslos in der Luft, doch bewegt sich das um ihr Gewand geschlungene hauchfeine Tuch in dem Wind, der sie hierhergetragen hat. Minon jedoch, der Schadow Flügel verliehen hat, wird niemals mit diesen entfliegen können und für immer Kind sein, für immer für ihren Meister tanzen und musizieren. Schadow portraitiert seine erste Frau Marianne als eben diese Mingon, mit schweren Flügeln, die die junge Frau zu genau jener aufrechten Sitzhaltung nötigen, die im gehobenen Bürgertum und Adel unumgänglich war. Die Spitzen der Flügel stoßen auf den Boden, verlängert man gedanklich die hinter dem Sofa verschwindenden Zeichenlinien – vor Anker gegangen also, kein Wesen der Luft.

So wundert es nicht, dass mit der Erfindung der Galvanoplastik um 1900 „Heerscharen“ von Trauernden und Engeln die Gräber zieren – und austauschbar sind, denn bestellt werden können die Plastiken mit oder ohne Flügel.

Industrialisierung, technischer Fortschritt bringen Verstädterung, Lärm, Schmutz und das Elend der arbeitenden unteren Klasse mit sich. Bürgertum und verbliebener Adel suchen ihr Heil in der Flucht in einen immer starreren Verhaltenskodex und in die Überhöhung jener Weiblichkeit, die in Schönheit trauern soll. Abbilder privaten Schmerzes, privater Trauer werden als Massenproduktion auf den Markt geworfen und von jenen erworben, um die es dereinst zu trauern gilt. Die vage Hoffnung, den Tod zu überwinden, wird zum Klischee. Überdauert haben Engel und Trauernde ihre Zeit ironischerweise gerade deshalb, weil ihre sehr dünne Kupferschicht sie zu Edelmetall-Lieferanten untauglich macht. Die geringe Ausbeute lohnt die Mühe des Einschmelzens nicht.

Die Vorstellung von dem als sanft beschworenen Tod verschwindet mit den Gräueln des Ersten Weltkrieges. Auf den unzähligen neuen Gräbern wachen keine Engel mehr, wohl auch deshalb nicht, weil viele dieser Gräber leer – und viele der Toten irgendwo auf einem fernen Schlachtfeld geblieben sind. Die Zeit der in unberührter Schönheit Trauernden ist vorüber und mit ihr die Zeit des figürlichen Grabschmucks. 

Zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges entsteht Paul Klees Bild „Angelus Novus“.

Marlen Wagner

Fortsetzung folgt.

Kunst trifft Engel (1)