Das Momentum der Geste in Kunst und Religion (5)
Was kann Kunst leisten, in Zeiten, in denen der Geist zum Schäumen gebracht wird? Wenn Schaum Realität wird – muss Kunst dann nicht unsichtbar werden? Werden ihre Gesten dann zur ästhetischen Schaumschlägerei – etwa weil Tanzen im Schaum diesen nur noch weiter aufwirbelt? Oder können sich Kunstreibende in einer Art Münchhauseniade selbst am Schopfe fassen und aus dem Schaum zu ziehen?
Wenn Realität schäumt – ist es dann ein nüchterner Traum, dass Kunst mit einer geschickten Geste den Schaum auflösen könnte? Das klingt so, als brauche sie nur auf besondere Art einen Zauberstab zu schwingen. Aber so einfach scheint es nicht zu sein. Tatsächlich wissen eigentlich alle, die Harry Potter kennen, wie Schaumproduktion funktioniert. Hat jemand tatsächlich den Orden des Phoenix nicht gelesen oder zumindest nicht gesehen? Wahrscheinlich kennen heute in Europa mehr Menschen die Geschichten von J. K. Rowling als die der Bibel. Und dennoch scheinen die wenigsten zu verstehen, wie Machtübernahme und Machterhalt stattfindet. Deshalb fragt wohl auch niemand, wie denn die Handbewegung aussehen könnte, die der unerträglichen Schaumproduktion der Verschwörer von Manweißschonwer ein Ende bereiten könnte. Welche geschickte Geste also könnte die Wirkmächtigkeit von Schaum derart entzaubern, dass er als das sichtbar wird, was er ist: Erscheinungsform eines schäumenden Geistes?
Zu allen Zeiten diente die Verwandlung von Geist in Schaum dazu, ihn zu beherrschen, zu kontrollieren und zu instrumentalisieren. Mechanische Abläufe und wiederkehrende Routinen kennzeichnen Rituale von Macht und Herrschaft. Sie zielen auf den Ausschluss von Fremdem oder dessen Tilgung durch erzwungene Anpassung. Vor allem aber dienen sie der Unterdrückung von Spiel und Neuem, das sich nicht instrumentalisieren lässt. Könnte fügsam gemachter und sich dahinein schickender Geist dies gestisch ausdrücken, so wäre es eine Geste der demütigen Unterwerfung.
Kunst hält in einer sich an Verschaumbarungen berauschenden Realität nüchtern an der Möglichkeit fest, reale Verkörperungen zu erträumen. Indem sie dem Geist Obdach gewährt. Sie bietet ihm Zwischenräume und Schwellen, Lücken und Risse, Falten und Nischen, Fugen und Brüche, Punkte und Löcher. Deshalb erscheint der Geist manchmal in Form von Leere auch in der Kunst. Etwa wenn er auf dem Rückzug vor dem Schaum der Verlautbarungen, der in jede Ritze dringt, sich zwischen die Zeilen eines Gedichtes zurückzieht. Manchmal geschieht dies am Rande des Verstummens, wie in Eugen Gomringers Schweigen, in der Hoffnung, dass dies auch das Geschwätz zum Verstummen bringe.
Manchmal gelingt es der Kunst sogar, das Momentum in Worte zu fassen, in dem der Geist unter die Schwelle seiner Wahrnehmbarkeit sinkt, wie in Goethes Gedicht:
Über allen Gipfeln
Ist Ruh‘,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.
Wenn Schaum in Seifenblasen des Glaubens gefangener Geist ist, dann hat er vor allem einen Zweck: Das für die Machthaber alles sauber läuft und rein und vor allem wie geschmiert. Nur so ist das Unglaubliche zu erklären: Warum unter Berufung auf Glaubenswahrheiten, unter heiligen Insignien wie Kreuz und Krone, im Namen von Religion und Wissenschaft, verbreitet von Predigern und Journalisten, sich der Schaum jener frommen Denkungsart ausbreiten kann, der die Vorbereitung von Pogromen und Kriegen gegen Andersgläubige und Ungläubige ermöglicht. Denn zu allen Zeiten war die Mehrheit der Agierenden überzeugt, im Geiste des rechten Glaubens und der Wahrheit zu handeln: wenn sie Christen ans Kreuz schlugen und Häretiker verbrannten, wenn sie auf Kreuzzügen Ungläubige folterten, wenn sie Hexen gefesselt ins Wasser warfen, wenn sie Juden vergasten. Immer gehörte zum Schäumen dabei der Glaube, dass die Opfer selbst Schuld an ihrer Verfolgung seien. Hätten sie nicht einfach ihren Glauben verraten können, ihre Ansichten widerrufen? Ketzerischen Gedanken abschwören, sich freiwillig Zwangstaufen zu lassen – es wäre doch so einfach gewesen, das Bad im Schaum der billigen Denkungsart zu genießen.
Und die Kunsttreibenden derweil? Wie kann mit Schaum und in ihm künstlerisch gearbeitet werden? Ohne Zweifel gibt es hier Versuche. Sie reichen von den Happenings Allan Kaprows aus den 1960er Jahren über Christine Biehlers Venus World Ende der 1990er Jahre bis zur hohen Kunst der Milchschaumgestaltung der Gegenwart. Aber es scheint offenkundig, dass gestische Aktivitäten in einem allgegenwärtigen Milieu von Schaum wenig bewirken. Reduziert Schaum Gestus und Gesten notwendig auf wildes Herumfuchteln, das die Flocken auch noch in die Luft verteilt? Die einzig angemessene Geste unter den Bedingungen universeller Schaumproduktion wäre vielleicht die Hand, die sich suchend daraus hervorstreckt. Doch wer ist schon im Besitz eines den Verblendungszusammenhang entzaubernden Entschäumers?
Manche meinen, man müsse nur Geduld haben. Schaum löse sich von alleine auf. Aber ist das eine realistische Hoffnung? Denn in einer Zeit, in der in Millisekunden mit mehr Informationen gehandelt wird als in Tagen mit Geld hat die Stunde des Schaums geschlagen. Deshalb steigt der Druck. Denn es muss laut Glaubensbekenntnis zum Wachstum immer mehr Schaum quellen als vergehen. Die Geste des Zeitgeistes der Informationsgesellschaft ist nicht mehr das Aneinanderreiben von Daumen und Zeigefinger sondern das Wischen der Augen.
Robert Krokowski