Resonanzen von Du zu Du

Angelus suspensus. Essays über die Geduld der Engel (4)

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Tom Sojer und Robert Krokowski bei einem Spaziergang im Januar 2024 © Marlen Wagner

Ich und Du
Müllers Kuh
Müllers Esel das bist Du
Das bist Du noch lange nicht
Sag mir erst wann Du bist Ich.
Eins und zwei, schon vorbei
Ich wird Ort
und Du ist fort.

Abzählreim aus der Narzissmus-Schule

Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich Eines
Im andern ganz verlor.
 
Johann Peter Hebel, Ich und Du

Du schreibst: “Unser Blick sagte „Du“, aber wohin, und zu wem? Wir standen vor dem verlorenen „Du“, sahen aber nichts als das Verschwinden. Keine klare Gestalt, keine Gewissheit. Doch selbst im Verlust blieb das „Du“ – als ein Echo, das sich nicht ganz löste. Es war ein Fragment, das uns hielt – ein Zeichen, das sich entzog, doch immer wieder auftauchte, in den stillen Spuren des Unausgesprochenen. Es war nicht fort, sondern nur verwandelt. Unser Sprechen hing daran, auch wenn es ins Leere griff.“

Du erzählst von einem Wir, das sich dadurch bildete, dass den im „Wir“ Verbundenen das „Du“ verloren gegangen war, als Etwas (als klare Gestalt) und als Ansprechbares (gewiss Anwesenden). Du erzählst von den im „Wir“ Verbundenen, die vom „Du“ nur noch nichts als sein Verschwinden sehen. Und du nennst, was bleibt, vom „Du“ für das „Wir“ deiner Erzählung, in der Wahrnehmung seines Verlustes – ein Echo. Offenbar also hatten die, die im Wir verbunden sind, „Du“ gesagt – nein, eher gerufen. Hineingerufen in das, was Resonanz zu geben vermochte, als Echo auf den Ruf „Du“. Und Du erzählst, dass es gerade eben geschehen war, denn das Echo war dem „Wir“ noch vernehmbar, obwohl das, was das Echo bewirkt hatte, verloren gegangen war. Nicht verlorengegangen sei aber, was im Wir das Echo hervorrief, es hinge sozusagen noch in der Luft, während der Resonanzraum sich bereits aufgelöst habe. Du nennst das Echo ein Fragment, das die im „Wir“ verbunden hielt, als sei es das, was sie verbindet, zum „Wir“ macht – das Fragment des Echos als Rudiment des Du-Sagens, eher des den anderen als Du anrufen. Das Echo wird ihnen – oder einem von Ihnen – zum Zeichen, das ihnen manchmal vorzuschweben schien, wie du erzählst, und manchmal nicht. Als sei das Echo „Du“ selbst etwas in einer Art anadytischer Bewegung, nicht gelöst (also analysiert), sondern auftauchend und sich entziehend. Du erzählst, dies sei in den „stillen Spuren des Unausgesprochenen“ geschehen. Du schreibst also, dass das Nichtgesagte dem Echo des Du-Anrufs einen neuen Resonanzraum gibt und dass es sich dadurch verwandelt. Und Du schreibst, dass dies das Sprechen der im „Wir“ verbundenen bewahrt – auch wenn ihnen das „Du“ verloren gegangen ist.

Das „Wir“ von dem du erzählst, sind nicht wir.

Ich will dir schreiben, warum ich beim Lesen deiner Erzählung von jenem „Wir“, das sein „Du“ verloren hatte, vermutete, das zumindest eines der im „Wir“ deiner Erzählung von dir verortete „Du“ durch Reduktion auf sein „Ich“ bewirkte, dass die Resonanz zwischen Ich und Du, und dadurch auch die zwischen Du und Du im „Wir“ verloren ging – und sich auf das Rudiment des Echos des Anrufs des Du reduzierte. Wenn ein „Du“ von einem „Ich“ nur angerufen wird, um ihm zum Spiegel, zur glatten Resonanzfläche seines Anspruchs zu dienen, wenn sein Anruf nur geschieht, damit sich die Reflektionsfläche so ausrichtet, dass im „Du“ das „Ich“ vernehmbar wird (sichtbar und hörbar, riechbar und fühlbar, sogar schmeckbar und tanzbar) – dann wird das „Wir“ – zumindest für einen der Beteiligten – zu einer Verbindung von „Ich“ und „Ich“. Dann ist es das „Ich“, das an die Stelle des „Du“ tritt und sich in der Selbstbespiegelung im „Du“ vom „Wir“ die Bestätigung seiner Wirklichkeit ausstellen lässt. Denn dieses „Du“ muss für das Ich auch „Ich“ sein, denn sonst wäre seine Anerkennung und die Bestätigung nichts wert: Solus ipse – nur „Ich“ selbst.

Du erzählst weiter: „Es war kein sicherer Halt, kein fester Griff, sondern ein Spiel aus Sprache, das uns anzog, nur um sich wieder zu entziehen – etwas, das durch die Finger glitt, wenn wir es greifen wollten. Dieses „Du“ war ein Versuch, das Unfassbare zu fassen, das sich ständig entzog. Es ließ sich nicht binden, verschwand in die Untiefe seiner eigenen Bedeutung. Ein Name, der immer nur Herantasten blieb. Und doch schien es, wenn dieses „Du“ ausgesprochen wurde, mit dem Gesuchten zu verschmelzen – ein Moment, der über das bloße Wort hinauswies. Ein Zeichen, das nie ganz greifbar war.“

Narzissmus, Solipsismus, Egoismus, Selbstgefälligkeit, Eigendünkel – so viele Begriffe und Worte, die die Verformung des „Du“ zur Reflexionsfläche des „Ich“ erklären wollen. Was sich aber ereignet, das ist eine Ausgrenzung des Du, eine Ausgrenzung des Fremden in uns selbst wie des Anderen als Fremden. Du erzählst davon, dass sich das Unfassbare entzog, dass es beim Namen zu rufen nicht gelang, das zu bezeichnen nicht gelang – und dass das „Du“ ein schwaches Echo jener Resonanz blieb, die dem „Wir“ das gab, was jenseits der Sprache, der Worte lag … und du versuchst diese Beziehung im „Wir“ zu begreifen, von dem du erzählst, mit jener geometrischen Figur, der elliptischen Konfiguration, über die wir sprachen, als wir uns zu erklären versuchten, warum Konzentration des „Ichs“ auf sich selbst etwas anderes ist als Fokussierung des „Wir“ auf den anderen als „Du“.

Du schreibst: „Die Beziehung, die sich zwischen uns spannte, war keine Mitte, keine starre Kraft, sondern eine Bewegung zwischen den Brennpunkten der Ellipse. Das „Du“ und das „Ich“ standen in Bezug zueinander, nicht durch zentrale Anziehung, sondern als zwei Brennpunkte, die Nähe und Distanz in einer dynamischen Konstellation immer wieder neu verhandelten. Die Verbindung bestand im gegenseitigen Blick, nicht im Zentrum, sondern von einem Brennpunkt zum anderen, durch die offene Ellipse hindurch.“

Wäre die Beziehung im „Wir“, von der du erzählst, ähnlich der von „Du“ und „Du“, die jeweils in Brennpunkten einer Ellipse stehen, deren Mittelpunkt leer bleibt, weil hier kein Ort für „Ich“ ist, sondern nur Schwelle zwischen Du und Du, dann hätte es vielleicht eine Chance gegeben, dass das „Du“ nicht auf die Resonanz eines Echos hätte schrumpfen müssen. Die Verbindung zu einem „Wir“, das in gegenseitiger Wahrnehmung über das andere „Du“ den Raum zwischen den „Du“ offen hält, das die Möglichkeiten von Nähe und Ferne jeweils neu erprobt, wäre eine Vermittlung zwischen Du und Du, keine Verschmelzung des Du mit Ich. Die Auswirkungen solcher Verdichtung der Bewegung durch ein „Wir“, in dem die „Du“ durch eine Auslassung, durch eine elliptische Veränderung, vermittelt sind, hätte vielleicht jene Ich-Bildung außer Kraft setzen können, die den Resonanzraum zwischen Ich und Du, Du und Du im Wir, kollabieren ließ. Das schwache Echo des Anrufs „Du!“ zur Bildung eines anderen Wir, das anderes wäre als die Beziehung von „Ich“ und „Ich“, wäre dann vielleicht nicht der einzige verwehende Laut im Geschehen gewesen. Vielleicht stünde, nach solcher Umarmung von Du und Du, noch der Klang im Schwellenraum ihrer Begegnung, mit dem das Wir in der Balance von Du und Du gehalten werden konnte. Womit sich die Frage stellt, ob es dein „Du“ vermag, Greifbares zu formen …

Du schreibst: „Wir trugen das „Du“ in unserer Sprache wie eine Narbe, die nicht verblasste. Doch die Wunde war nicht das „Du“ selbst, sondern das, was es in uns auslöste – die Begegnung mit dem Verlorenen. Eine Wunde im Wir verbunden. Es war die Verschränkung von Wort und Gegenwart, die so deutlich zeigte, dass das „Du“ nur Kontaktversuch blieb, eine Berührungsgeste, die stets verfehlte. Das „Du“ formte nichts Greifbares. Es war kein Gefäß, das sicher hielt, sondern etwas, das sich unseren Händen entzog, das uns zwang, immer wieder zu greifen, immer wieder zu scheitern. Ein Zeichen, das uns forderte. In der Begegnung prägten wir uns einander ein, aber nie vollständig – ein Abdruck, ein Echo, das keine vollständige Gestalt wurde.“

Ja. Du erzählst von diesem Versuch eines Teils eines Wir aus dem Echo des Du-Rufens einen Klang zu gewinnen, der zeigt, dass im Resonanzraum zwischen Du und Du, im Wir, etwas anderes findbar sein könnte, als eine Leere, in die sich Ich einnistet.

Du schreibst: „Das „Du“ konnte erdrückend sein, eine zu große Nähe, eine erstickende Präsenz. Doch es blieb ein Wort, ein Zeichen, das in die Welt geworfen wurde, ohne Gewissheit, dass es traf. Es wurde gesprochen, wir wollten es ganz, doch wussten, dass es immer nur Annäherung blieb, ein Versuch, etwas zu erreichen, das sich entzog. Und doch: Das „Du“ war irreversibel. Es blieb – nicht das Wort, sondern das, was es bedeutete, die Spur des Anderen, die in uns weiterlebte. Doch diese Irreversibilität war voller Zweifel. War der gemeinte Mensch wirklich erreicht worden? War ihm Gerechtigkeit widerfahren? Das „Du“ trug diese Ambivalenz, die Frage, ob das Zeichen je wirklich das Bezeichnete umfassen konnte.“

Wussten es die, die in deiner Erzählung im „Wir“ als Verbundene beschrieben werden, dies tatsächlich? Wenn es sich so begab, wie du es erzählst, dann konnten die in jenem „Wir“ letztlich nur noch als „Ich“ und „Ich“ verbundenen unmöglich die Schwebe zwischen Du und Du halten. Deshalb erfasst du es so genau – für die Konstellation eines Wir aus Ich und Ich:

„Das „Du“ war nicht in Worte zu fassen, und doch waren es nur die Worte, in denen wir existierten. Immer war es eine Geste der Sprache, die auf eine Wahrheit verwies, auf ein Schweigen, das keine Sprache durchbrechen konnte. Vielleicht war es gerade dieses Scheitern der Worte, in dem das „Du“ lebendig sein konnte. Es war das „Nicht-genug-Sein“ der Sprache, das daran erinnerte, dass das Zeichen nie die Fülle dessen war, was es bezeichnete. Wenn die Fülle dennoch zugesagt wurde, dann nur als unvollkommener Versuch, eine Nähe zu spüren. Das „Du“ blieb ein Punkt auf der Hyperbelfunktion, ein Selbstläufer, der in seinem Verglühen das Wesen dieser unmöglichen Begegnung mit dem Nullpunkt anzeigte. Keine Einheit, sondern ein ständiges Ringen, ein Widerstand, eine Kante. Die Worte führten immer nur zur Grenze, aber nie darüber hinaus. Es war das Unvollkommene, das dem „Du“ seine Klinge verlieh, das immer wieder einen neuen Anfang ermöglichte, auch wenn das Scheitern gewiss war. Der Raum zwischen uns war ein Ort der Nähte, eine Ebene um Verstrickung zu schaffen, die das Andere benetzt, ein Mitleid ohne die völlige Überwindung der Fremdheit. Das „Du“ war das Andere, das sich zeigte, aber nie ganz begriffen werden konnte – ein Protest gegen uns, eine Spur, die immer ein Rest blieb. Die Verbindung blieb fragmentarisch, und das Zeichen „Du“ brachte eine Nähe, ohne je vollständig zu umfassen.“

Und aus der der Erfahrung des Scheiterns jener Beziehung von Du zu Du, ihrer Reduktion auf eine Konzentration von Ich auf Ich, entsteht die Sehnsucht, da heraus möge ein Weg führen, zur Begegnung zwischen Ich und Du, als Du und Du, durch die jenes Wir möglich wird, das Ich sein lassen kann, aber nicht ins Zentrum seines Tuns rücken muss, wie Du schreibst:

„Dieser Raum war keine zentrale Mitte, sondern eine Bewegung, ein Pulsieren zwischen den Polen des „Ich“ und des „Du“. Die Weite wuchs, nicht durch Aufblähung, sondern durch das stetige Aufspannen der Verbindung. Das „Du“ wies ins Unbekannte, nicht als Emporsteigen, sondern als sich Öffnen, als Loslassen, um das Andere wirklich zu erfahren. Es war das Licht, das durch die Wortbrüche drang und das Dahinter ahnen ließ – das unaussprechlich Verdrängte, der Seelenfunke einer Familie, in der sich alles verband und doch hinter allem in eine Falte führte. Die Vertikale war kein Aufstieg, sondern ein Freigeben der Zeichen, damit das, was ist, hindurchscheinen konnte. Das „Du“ spiegelte eine Welt ohne Gewissheiten wider, eine aufgerissene Naht, in der Licht und Dunkel miteinander rangen. In unserer Begegnung lag ein Anfang – ein Bruch, der verband, ein Kehlenlaut, der sich entzog und zugleich alles durchdrang. Hier, an dieser Grenze, zeigte sich das „Du“ nicht als Endpunkt, sondern als Origo eines dritten „Ich“, als ein Versprechen, das über unsere Worte hinauswies – in eine Stille, die von einer Wahrheit erfüllt war, die im Scheitern der Sprache die wahre Intimität fand.“

Hauchdünne Chance auf Reibungsverluste, die in Lücken aufbewahrt sind, solange sie unbeachtet bleiben. Jede Ausstellung ein vorgetragener Augenblick. Stöbern in schwindenden Blickwinkeln und auf abgegrasten Augenweiden. Der Augenblitz einer Berührung schlägt in den Sinn. Eine Umarmung fühlt sich nach Tanz an. Manchmal wird ein Übertretungsversuch, eine Grenzüberschreitung, ein Ortswechsel, eine Schwellenerkundung, eine Verwandlung von Niemandsland in ein terrain vague mit erhobenem Zeigefinger begleitet: DuDu! – als sei es ein Kinderspiel und von traumwandlerischer Einfachheit. Wann und wie verwandeln sich Spiegelungen in Resonanzquellen?

Du bleibst stehen, schaust mich an und sagst: Zwischen uns nichts als ein Raum in Schwebe, eine Kante aus Licht und Leere, wo das Echo des „Du“ aussetzt und neu erwacht. Spiegelungen verwandeln sich in Resonanzquellen genau dann, wenn sie ihren Anspruch auf Festigkeit verlieren, wenn sie aufhören, nur eine glatte Oberfläche zu sein und wie ein Scherenschnitt in die Tiefe des Zwischen lichtdurchlässig werden. Ein Raum, der keine Mitte hat, keine Mitte braucht – ein Ort des Werdens, in der Abwesenheit zugegen, in der Anwesenheit entzogen. Das „Du“, es bleibt, ein roter Ton, der übergeht in den Staub, der wirbelt, verweht, sich wiederfindet im Schweben des Gesagten, ungesagt, im Sprachgewand verwebt. Nicht gehalten, nie fest, immer nur ein Atemstoß, der die Hand streift und verfliegt, ein roter Rest, der im Sprechen danach weiteratmet. Nicht Zentrum, nicht Fixierung – es bleibt das Schweben, das Sprechen vom Weltrand, das Niemals-Hiersein des „Du“. Wie die Ellipse ihre Brennpunkte verliert, wie die Schwelle keine Schwelle mehr ist, nur ein Schritt ins Ungewisse, ein Raum, der sich nicht schließen lässt. Zwischen uns der rote Ton, im Schall und Widerhall, wo Nähe und Ferne im Widerspiel ihre Bedeutung verlieren, alles, selbst das Unausgesprochene, weil es sich immer leiser im Fraktallaut für immer weitersagt. Wir hören es irgendwann nicht mehr. Weil es uns zu leise wird. Und es hört uns noch für immer. Weil es uns zu Leibe wird. Ein „aktaler Raum“, hast du einmal gesagt – ein Ort, der weder fest noch abgeschlossen ist, der im ständigen Übergang verweilt, ein Raum, in dem sich das „Du“ entfaltet, ohne sich ganz zu zeigen. Wo der rote Ton leise bleibt, hauchdünn, der spröde die Sprachhaut macht, die aufreißt und zu bluten beginnt. Kein Ort der Grenzziehung, sondern einer der schmerzlichen Durchlässigkeit, nicht abgegrenzt, sondern tropfend, Markierung setzt. Ein Raum, der dich aufnimmt und entlässt, indem Sehen und Atmen dasselbe sind, zugleich, ein Schweigen, das nicht bricht. Und so bleibt das „Du“ – aufgeschürft vom Sandpapier, der rote Ton Staubluft im Verwehen, die nichts mehr verspricht, die nicht mehr hält, nur im Augenblick noch bleibt. Seine Bewegung ist kein Ziel, kein Halt, nur ein Streifen, ein Berühren, die Finger voll Staub, ein Nicht-Verlieren, in der Bewegung verfangen, die aus der Stille kehrt und sich selbst entzieht. Das Schweben zwischen uns – das „Du“, das falsche Geheimnis, der rote Rest, der ein Echo gibt, das bleibt, ohne ganz zu sein. Die klaffende Wunde, die durch Zentrierung wächst, und nur durch das Aufspannen des Möglichen heilt, durch das Lassen, durch das offene Raumgeben. Ein roter Ton, der in die Wüste weist, der die Schwere ablegt, der nicht aufsteigt, sondern sich weitet, entlässt, das Unbekannte – ein Loslassen, um das Andere zu erfahren. Ein Unding, das nicht greifbar wird, das in seiner Bruchhaftigkeit seinen Anfang findet, in der Kollision, die uns trennt, die uns eint – ein Spüren, das bleibt, immer ein Rest, ein „Du“, ein gebrochenes Du, ein Fraktalwerk, das sich wieder holt, das sich vervielfältigt, in jedem Splitter das Ganze trägt, und doch niemals vollständig wird. Ein „Du“, das in der Bruchlinie lebt, sich teilt und wandelt, stets in neuen Winkeln und Spiegelungen erscheint – ein Spiel der Teile, das keine Ganzheit kennt, ein rotes Echo in den Fugen der Fragmentierung, das bleibt. Das „Du“ ist nicht Identifizierung oder Erfassen, sondern die Bedingung der Möglichkeit eines Zwischen, die eintreten lässt – ein Raum, der nur in der Offenheit existiert, eine Schwelle, die sich öffnet, eine Bewegung, die uns erlaubt, im Ungewissen zu verweilen, im Fragment zu bleiben, das nie ganz sein will, um das (Un-)Mögliche wieder neu zu ereignen.

Ja: Ursprung ist das Ziel. Deshalb ist es so interessant der Spur der roten Resonanzen zwischen Du und Du zu folgen. Und die Frage, was das mit der Geduld der Engel und dem Bild des Angelus Suspensus zu tun hat, ist dann sehr einfach beantwortet: Weil es beim Wir um den Unterschied zwischen der Wirklichkeit des Ichs und der Verwirklichung des Dus geht. Auch das Wir in der Schwebe steht im Begriff auf dem Sprung zu sein. Der „rote Ton“ macht den Schwebeakkord ebenso zu einer musikalischen „Schwelle“, wie eine Colgada zu einer tänzerischen.