Vertrautheit

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… wie die Ruhe im Auge eines Hurrikans.

Sicherheit, Zuversicht, Mut, Anvertrauen, aber auch Überlassen und als Synonyme: Trost – das sind die Bedeutungen des mittelhochdeutschen Substantivs Vertrûwe(n). Das Verb vertrûwe/vertriuwe eröffnet ab 1600 noch weitere Bedeutungshöfe, die so unterschiedliche Bedeutungen umfassen wie annehmen, sich verbürgen, glauben, jemanden Vertrauen schenken, wagen, in Obhut nehmen/geben, sich verloben/vermählen, Treue geloben (dem Staat, dem Dienstherren gegenüber) – und das sind noch längst nicht alle.

Seltsamerweise stehen dieser Fülle an Konnotationen auf der negierenden Seite als missvertruwen/mißtruwen/mißverthruwen lediglich die üble Nachrede und der Zweifel gegenüber.

Im 19. Jahrhundert setzt sich Vertrautheit gegen das ab dem 16. Jahrhundert ebenfalls gebräuchliche vertrauglichkeit/vertreulichkeit durch. Der Doppelgesichtigkeit von Vertrautheit als Zustand des Vertrauens auf eine rechtmäßige und erlaubte, gar erwünscht Art wird damit abgesetzt von Vertraulichkeit, die nun die negative, verwerfliche Seite der Konnotationen auf sich zieht: sich Vertraulichkeiten herausnehmen, die einem nicht zustehen.

Inwieweit Engel mit Menschen vertrauten Umgang pflegen, bleibt ein Geheimis, das besser nicht gelüftet wird. Drohen doch drakonische Strafen, wie im 1. Buch Henoch berichtet wird. Henoch, ein früher Chronist mit sadistischen Neigungen, erfreut sich daran, die „gerechten Strafen“ für Engel und für Menschen auf das Genaueste zu schildern. Als Gerechter ausgezeichnet, wird er zur Belohnung nicht dem menschlichen Schicksal des Sterbens unterworfen, sondern von Gott selbst entrückt.

Die Vertrautheit zwischen Menschen und Engeln hingegen wird für gut befunden, ja gefördert – wie sonst ließen sich die unzähligen Abbildungen und Skulpturen erklären, die menschliche Behausungen bewohnen.

Marlen Wagner