Muße

© Fraktalwerk Projektraum

wie ein absichtslos schweifender Blick über die glitzernde See.

Im Schweizerischen Idiotikon findet man, gibt man Muße ein, Muess (f.) und hier an erster Stelle Mues, Spielraum, spec. der Raum auf der Wippe, den spielende Kinder einander gewähren, um sich im Gleichgewicht zu halten; und an zweiter Musse, freie Zeit.

Sowohl das althochdeutsche Wort muoza als auch das mittelhochdeutsche muoze bedeutet Gelegenheit, Möglichkeit. Das etymologisch verwandte Modalverb müssen verweist nur vordergründig auf den Zwang, etwas zu tun – vielmehr beschreibt das Etymologischen Wörterbuch des Deutschen einen die verwandten Wörter muete, mote  als ‘Zustand, der einem die Möglichkeit bietet, etw. zu tun’. Woher der Drang kommt, Muße der Faulheit gleichzusetzen? Warum das Adjektiv müßig im Laufe der Zeit nicht nur untätig, sondern auch überflüssig, unnötig bedeutet? Möglicherweise hängt das mit der Überschätzung von Arbeit und der damit einhergehenden Unterschätzung der Muße zusammen. Müßige Menschen produzieren nichts, steigern nicht das Bruttosozialprodukt.

Doch stimmt das wirklich? Kunst, Forschung, Ideen jeglicher Art brauchen Muße, um sich zu entwickeln, zu entfalten – um überhaupt erst entstehen zu können. Woher die Ideen kommen und warum gerade jetzt? Wer weiß, vielleicht aus dem Reich der Träume, der müßigen Tagträume … Absichtslos, zweck- und ziellos schweifen dort die Gedanken, lassen Bilder, Töne, Vorstellungen entstehen. Nun kann der Spielraum entdeckt werden, in dem Ideen entstehen und im Gleichgewicht von Träumen und Schaffen gehalten werden.

Marlen Wagner