Die letzte Geste

Abschied

Das Momentum der Geste in Kunst und Religion (14)

In den letzten Stunden ihres Lebens hielt meine Mutter meine Hand lange und immer wieder mit ihren gefalteten Händen. Es waren berührende Augenblicke großer Nähe. Ich spürte, dass wir beide loslassen wollten, aber nicht konnten. Wenn unsere Hände sich voneinander lösten, suchten sie einander erneut. Als sie wiedereinmal ineinander ruhten, erinnerte ich mich plötzlich an ähnliche Augenblicke in meiner frühen Kindheit.

Meine Mutter kam an mein Bett, faltete meine Hände und ich betete mit ihr zusammen: „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ Eines Abends hielt ich die Hände meiner Mutter fest und sagte: „Ich kann das nicht beten. Ich soll doch nicht lügen.“ Ich beantwortete ihren erstaunten Blick: „Ich möchte doch, dass Du darin wohnst – und nicht Jesus.“

Immer wenn meine Mutter in ihren letzten Stunden ihres Lebens meine Hand nur noch mit ihrer rechten Hand hielt, hob sie den linken Unterarm von der Bettdecke. Sie öffnete leicht die gehobene Hand und streckte sie ein wenig die Finger aus. Dann entspannten sich ihre Finger und sie legte den Arm auf die Bettdecke zurück. Ich hatte diese Bewegung so nie zuvor gesehen. Und zu dieser ihrer letzten Geste gibt mir keine Erinnerung Worte.

Robert Krokowski

Die letzte Geste